Urkunden, Dokumente, Lehrlinien – „too much“ oder notwendig?

Gerade der Bereich von Urkunden, Dokumenten und damit einhergehend auch Lehrlinien und Lehr- oder Ausbildungslizenzen ist oftmals von grosser Unkenntnis geprägt. Oder wird, was noch schlimmer ist, schlicht ignoriert… oder gleich gelogen, dass sich die Balken biegen.

Dabei sind diese Dinge, wenn man sich im Umfeld klassischer japanischer Künste bewegt, absolut zentral und können nicht einfach vernachlässigt oder wegdiskutiert werden.
Ganz egal, ob es sich dabei nun um ein Schriftstück handelt, welches eine bestimmte Meisterschaft in einer Schule des Koryū Bujutsu bestätigt, ob damit beglaubigt wird, dass man eine anerkannte Geisha ist, in welcher Tradition des Chanoyū jemand steht oder ob man z.B. eine traditionelle Schwertpolierer-Ausbildung in Japan abgeschlossen hat. Diese Aufzählung liesse sich beliebig fortsetzen und schliesst so gut wie alle traditionellen Künste ein, egal ob nun Kriegskünste, bildende Künste, Theater, Kunsthandwerk, usw.

Oftmals herrscht gerade bei westlichen Schülern oder Interessierten die Meinung vor, dass solche Dokumente unnütz oder gar überheblich seien und man es ja sowieso „sehen muss“, welche Stufe jemand in einer Kunst innehat.
Damit wird allerdings ein äusserst wichtiger Teil solcher Traditionen negiert und abgewertet. Oftmals entsteht diese Ablehnung aber auch durch die simple Tatsache, selbst nicht im Besitz solcher Urkunden zu sein.
Es gibt auch eine Argumentationslinie, welche darauf abzielt, allein die (eigene) Erfahrung gelten zu lassen. Dies geschieht meist dann, wenn man keine traditionelle Ausbildung bei einem Lehrer absolviert hat, sondern eine gewisse „Shopping“-Mentalität besitzt und so hie und da Sachen aufgeschnappt hat. Dies kann zwar durchaus zu einem gewissen Können führen. Peinlich wird es dann, wenn solche Leute andere über die „traditionellen Ausbildungswege“ aufklären wollen, welche sie aber notabene nie durchlaufen haben.

Ein traditionelles Nafudakake

In Schulen des Koryū Bujutsu kommt ein Schüler häufig zum ersten Mal mit der Thematik in Berührung, wenn sein Name in das Schulregister eingetragen wird. In einem traditionellen Dōjō ist die sichtbare Manifestation dessen das sogenannte Nafudakake, das Gestell mit den Namen aller Schüler und Meister der Schule. Der Name des Schülers wird auf ein rechteckiges Holzplättchen geschrieben und an der korrekten Stelle eingeordnet.

Jeder, der z.B. meine Glaubwürdigkeit in Bezug zur Mitgliedschaft in meiner Schule anzweifeln würde, könnte sich also ohne weiteres im Honbu-Dōjō vergewissern, dass mein Name auf dem Nafudakake aufgeführt ist.

Hier sei aber darauf hingewiesen, dass das Nafudakake kein alleiniges Merkmal von Koryū-Dōjō ist. In Japan ist es auch im Gendai-Budō durchaus üblich, Mitglieder einer Gruppe so zu erfassen.

Die persönlichen Kirigami, Hatsu-Mokuroku und Kajô-Mokuroku (von links nach rechts) des Autors

Weiter gibt es verschiedene Makimono für die diversen Ränge bzw. Lehrstufen innerhalb einer Schule. Diese Schriftrollen sollten von Hand geschrieben sein und sind ein sehr persönliches Dokument für den jeweiligen Schüler. Etliche Schulen verfahren heute allerdings nicht mehr so, da sie mit der Zeit wesentlich informeller wurden. Einige verleihen Makimono lediglich noch für die höchsten Beurkundungen.

In den traditionellen Theaterkünsten wie Kabuki, Nō oder Kyōgen sowie den musikalischen Traditionen (z.B. Gagaku) ist es zudem üblich, mit der Zeit einen Bühnennamen zu erhalten. Auch im Chanoyū wird einem ab einer gewissen Stufe ein sogenannter „chamei“ verliehen, der „Tee-Name“.

Solche vom Lehrer verliehene Namen haben jeweils einen direkten Bezug zur Lehrlinie, in welcher man steht und folgen in ihrer Form meist auch strikten Regeln. Auch in den Kriegskünsten gibt es Schulen, welche sogenannte „Gō“, Kriegernamen, verleihen. Auch bei diesen wird man einen Bezug zum eigenen Lehrer bzw. zur eigenen Schule finden.
All das ist nicht bloss „nice to have“ oder dem Ideengebäude eines Japan-Fans entsprungen, sondern ist essentieller Bestandteil der jeweiligen Tradition, um eine nachverfolgbare Lehrlinie zu definieren und zu dokumentieren.

Interessanterweise kann man gerade diese verliehenen Namen kaum je fälschen. Natürlich ist das für Uneingeweihte nicht erkennbar, aber sobald man einen tieferen Einblick erhält, machen gewisse Namen keinerlei Sinn.
Dasselbe gilt übrigens auch für frei erfundene Ryūha-Namen, welche ja gerne hie und da auftauchen. Meist ist die Namensstruktur verfehlt, es werden falsche Kanji verwendet oder es wird die falsche Lesung (on-yomi / kun-yomi) transkribiert. All das führt in informierten Kreisen häufig zu grossem Amüsement. Mimizu-Ryū klingt zwar irgendwie cool und macht mit den Kanji auch was her (蚯蚓流). Aber die Regenwurm-Schule ist dann vielleicht doch nicht das, was man sucht… insbesondere nicht in dieser falschen Schreibweise. Ziemlich knifflig das Ganze…

Grundsätzlich muss man äusserst misstrauisch werden, wenn jemand zwar eine „traditionell japanische“ Kampfkunst, ein Kunsthandwerk (z.B. das wichtige Polierhandwerk an japanischen Klingen) oder eine entsprechende Kunstform propagiert, aber keine nachvollziehbare Lehrlinie oder gar Lehrer nennen kann oder will.
Insbesondere das Nicht-nennen-wollen ist schlichtweg lächerlich, ist doch die Lehrlinie ein Aspekt, auf den authentische Schulen sehr stolz sind und sicher nicht verstecken wollen. Den eigenen Lehrer zudem nicht nennen zu wollen, halte ich persönlich auch für äusserst beleidigend.

Im modernen Budō mag die Lehrlinie tatsächlich nicht mehr allzu wichtig sein, handelt es sich dabei ja meist um eine rein sportliche Betätigung.
Aber in klassischen Künsten ist die Lehrlinie DER elementare Faktor überhaupt. Von wem man gelernt hat ist das eigentliche „Echtheitszertifikat“. Wer diese Information nicht liefern kann oder will, hat etwas zu verbergen. Punkt.

Dies alles fälschen zu wollen, ist ein unmögliches Unterfangen. Und das ist doch eigentlich eine ganz beruhigende Tatsache.

 


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