
Die japanische Ingenieurskunst ist weltweit bekannt und hochgeachtet. Einer der Pioniere des modernen Ingenieurwesens in Japan war Tanaka Hisashige, aus dessen Firma schlussendlich TOSHIBA hervorging. Und er ist der Erschaffer einer überaus ungewöhnlichen Uhr, welche heute als wichtiges japanisches Kulturgut gilt!
Tanaka wurde 1799 im Kurume-han auf der Insel Kyūshū geboren. Heute gehört die Stadt Kurume zur Präfektur Fukuoka.
Als ältester Sohn eine Schildpatt-Kunsthandwerkers wurde er schon früh in dieser Kunst geschult und war offenbar sehr talentiert darin.
Schon sehr früh zeigte sich aber auch ein ganz anderes Talent bei diesem Knaben: das des Erfinders und Konstrukteurs. Bereits im Alter von acht Jahren entwickelte er einen Tuschereibstein-Behälter, der über einen versteckten Schliessmechanismus verfügte. Und nur einige Jahre später (mit 14!) konstruierte er einen Webstuhl, der komplizierte Designs zu schönen Stoffen weben konnte. Schon hier zeigte sich seine Vorliebe für ausgeklügelte Mechanik, für welche er später noch berühmt werden sollte.
Karakuri Ningyō
In der Edo-Periode waren sogenannte „Karakuri Ningyō“ (mechanische Puppen) äusserst beliebt und dienten Adel und Vermögenden oft als Unterhaltung und Zeitvertreib.
Zu Beginn des 17. Jahrhunderts haben niederländische Kaufleute die europäische Uhrentechnologie nach Japan gebracht, wo diese sofort auf grosses Interesse stiess. Bald schon gab es japanische Nachbauten und die mechanischen Puppen, welche mit ähnlicher Mechanik funktionierten, starteten ihren Siegeszug.
Grundsätzlich gibt es drei Arten dieser Automaten:
- Zashiki karakuri, welche relativ klein sind und für den Hausgebrauch vorgesehen sind
- Dashi karakuri, welche bei Festen (Matsuri) auf grossen Festwagen montiert sind
- Butai karakuri, welche als Bühnenapparte in Theatern genutzt werden
Mit Anfang 20 begann Tanaka komplexe Karakuri Ningyō zu entwickeln, welche er mit unterschiedlichen Mechanismen ausstattete und dabei auch Pneumatik und Hydraulik einsetzte. Bei der Aristokratie am Kaiserhof in Kyōto, im Bakufu in Edo und bei etlichen Daimyō in den Provinzen bestand eine grosse Nachfrage nach diesen modernen Vergnügungsapparaten.

Mit 21 Jahren hätte Tanaka eigentlich den Familienbetrieb übernehmen und als Familienoberhaupt agieren sollen, verzichtete allerdings darauf und überliess seinem jüngeren Bruder das Geschäft. Er fokussierte sich nun ausschliesslich auf die Entwicklung und Konstruktion mechanischer Puppen, welche ihm offensichtlich ein gutes Einkommen sicherten.
Aber wie das so mit Moden ist, waren Karakuri Ningyō ab ca. den 1830er-Jahren nicht mehr sehr gefragt und das Geschäft damit ging zuneige.
Umzug nach Ōsaka, Verlagerung der Interessen und Flucht nach Kyōto
Der Umstand, dass die mechanischen Puppen keine grossen Entwicklungsmöglichkeiten mehr boten, brachte Tanaka 1834 dazu, nach Ōsaka zu ziehen.
Im pulsierenden Handelszentrum der japanischen Wirtschaft experimentierte er weiter mit Pneumatik, Hydraulik und unterschiedlichen Lichtquellen basierend auf Rapsöl.
Eine Öllampe, welche mit einer luftdruckbetriebenen Brennstoffpumpe ausgestattet war, erwies sich ab 1837 als wahrer Verkaufsschlager bei der Stadtbevölkerung.
Diese Mujin-to genannte Lampe erzeugte rund zehnmal helleres Licht als eine übliche Kerze und war fixfertig ausgerüstet mit einem Glaskolben um das Flackern zu vermeiden. Es wurden mit der Zeit sieben verschiedene Modelle in unterschiedlichen Grössen und Preiskategorien hergestellt. Tanaka verstand auch einiges von Marketing: Illustrierte Flyer dienten zu Werbezwecken und zu jeder Lampe gehörte eine Gebrauchanweisung, welche zudem eine schriftliche Herstellergarantie enthielt.
Hier lässt sich eine Zuwendung zu nützlichen Alltagsgegenständen feststellen. Später konstruierte er auch eine pneumatisch betriebene Feuerlöschpumpe, welche ebenfalls grossen Anklang fand.

© Toshiba Science Museum
1837 floh er mit seiner Familie vor den Ausschreitungen in Ōsaka, welche während der grossen Tenpō-Hungersnot ausbrachen, nach Kyōto (Fushimi).
Hier nahm er das Studium des Onmyōdō auf. Onmyōdō ist ein spezielles System japanischer esoterischer Kosmologie und Astrologie, welches auf den chinesischen Lehren von Yin und Yang sowie Wuxing (Fünf Elemente) basierte. In Japan wurde es noch mit buddhistischen und shintoistischen Elementen ergänzt.
Die Aristokratenfamilie Tsuchimikado war führend in diesem Feld und Tanaka studierte in deren Schule.
Die Vermutung liegt nahe, dass den rationalen Denker Tanaka die esoterisch-religiösen Inhalte des Systems nicht allzu sehr interessierten. Astrologie, die weit entwickelte Kalenderwissenschaft und Mathematik hingegen schienen ihn zu faszinieren, was man auch an seiner wohl berühmtesten Konstruktion einige Jahre später sehen kann (siehe weiter unten).
Seine Studien ergänzte er zudem mit Rangaku, westlicher Wissenschaft. Dafür trat er um 1848 dem Jishūdō-Institut des Rangaku-Gelehrten Hirosaki Motoyasu bei.
Wörtlich übersetzt heisst Rangaku „holländische Studien“, da es hauptsächlich auf dem Kontakt zur niederländischen Enklave Dejima in der Bucht von Nagasaki basierte und zum grossen Teil auch durch die niederländische Sprache vermittelt wurde.
Sein Meisterwerk: Mannen Jimeishō – Die Zehntausend Jahre-Uhr
1851 stellte Tanaka eine Uhr fertig, die ihresgleichen suchte, ein wahres Glanzstück der Uhrmacherkunst.
Die Konstruktion dauerte drei Jahre und Tanaka hat die über 1’000 Einzelteile selbst und in Handarbeit hergestellt. Mit einem Gewicht von 38 kg und einer Höhe von 63 cm ist es ein imposantes Werk.

Zuoberst befindet sich unter einer Glaskuppel ein Planetarium. Zwei kleine Spähren zeigen den täglichen Lauf von Sonne und Mond über einer detaillierten Karte von Japan mit Kyōto als Mittelpunkt. Gemäss den Jahreszeiten verändert sich auch die Höhe der beiden Sphären.
Darunter befinden sich umlaufend sechs verschiedene Zifferblätter, welche den Lauf der Zeit auf sechs verschiedene Arten zeigen (mit dem Planetarium sind es sieben Arten):
1) Ein Zifferblatt, welches die Zeit auf traditionelle japanische Weise zeigt: Dabei sind die Stunden unterschiedlich lang aufgrund der sich verändernden Jahreszeiten. Zudem werden die Tagesstunden in der oberen Hälfte und die Nachtstunden in der unteren Hälfte angezeigt.
2) Ein Zifferblatt, welches die traditionellen 24 Jahreszeiten des japanischen Jahres zeigt.
3) Ein Zifferblatt, welches den Wochentag mit einem kleinen Zeiger und die Stunde mit einem langen Zeiger anzeigt. Dieser lange Zeiger ist gekoppelt mit dem Werk des ersten Zifferblatts und dient auch für den Glockenschlag.
4) Ein Zifferblatt, welches rund um den chinesischen 60-Jahreszyklus aufgebaut ist. Hier spielen die zehn Himmelsstämme und zwölf Tierkreiszeichen die entscheidende Rolle um den entsprechenden Tag anzuzeigen.
5) Ein Zifferblatt, welches auf einem äusseren Ring die Tage des Monats gemäss dem Mondkalender zeigt. Im Zentrum befindet sich eine Sphäre mit der exakten, täglichen Mondphase.
6) Das letzte Zifferblatt stammt offensichtlich aus einer Schweizer Taschenuhr mit der normalen, westlichen Stundenskala und drei Zeigern (Stunde, Minute, kleine Sekunde).
Das ganze wird von vier Triebfedern, welche sich im Sockel der Uhr befinden, in Gang gehalten. Der hochkomplexe Mechanismus aller Federhäuser ist miteinander verbunden und entsprechend reguliert um eine gleichmässige Kraftübertragung zu gewährleisten. Die Uhr wird über eine Kurbel im Sockel aufgezogen. Ist der Mechanismus voll aktiviert verfügt er über eine Gangreserve von 365 Tagen!
Interessanterweise fand die Uhr keinen Käufer. Etliche Daimyō begeisterten sich dafür, aber die mangelnden finanziellen Mittel zum Ende der Edo-Periode und die unsicheren Zukunftsaussichten hielten alle von einem Kauf ab. So verblieb die Uhr schlussendlich im Besitz der Tanaka-Familie.
Heute ist die Toshiba Corporation der Besitzer dieses wundervollen Chronometers, der nun als Leihgabe im „National Museum of Nature and Science“ in Tōkyō zu besichtigen ist. Im Jahr 2006 wurde die Uhr in die Liste der „Wichtigen Kulturgüter Japans“ (Jūyō Bunkazai) aufgenommen.
Ein exakter Nachbau befindet sich zudem im „Toshiba Science Musem“ in Kawasaki (neben Tōkyō).

Die Jahre im Saga-han auf Kyūshū und die Hinwendung zum Militärwesen
Im Sommer 1853 fuhr der US-amerikanische Commodore Matthew Perry mit einer Flottille von Kriegsschiffen in die Bucht von Uraga in der Nähe von Edo ein, um ein Handelsabkommen zwischen den USA und Japan auf den Weg zu bringen. Es war überdeutlich, dass dieser Forderung auch mit militärischen Mitteln Nachdruck verliehen werden kann.
Das Bakufu verfiel in Aufruhr, da es keinerlei Strategie besass, um mit der Situation ausländischer Einflussnahme umzugehen.
Bereits im Februar 1854 kehrte Perry zurück. Das Ergebnis war der sogenannte „Vertrag von Kanagawa“, der die japanische Isolationspolitik beenden sollte.

1853 sollte sich auch für Tanaka persönlich als ein richtungsweisendes Jahr herausstellen.
Sano Tsunetami (1822 – 1902), ein wichtiger Berater von Nabeshima Naomasa, dem 10. Daimyō des Saga-han auf Kyūshū, lud Tanaka ein, für das Han tätig zu werden.
Die Saga-Domäne zählte in dieser Zeit bereits zu den militärisch stärksten Han in ganz Japan. Nabeshima war ein vorausschauender Daimyō, der schon früh den Nutzen westlicher Technologie erkannte und diese entsprechend förderte. Dabei konzentrierte er sich hauptsächlich auf Medizin, Waffentechnologie und Militärwissenschaft. Ebenso siedelte er lukrative Schlüsselindustrien in Saga an, darunter Waffenherstellung und Kohleabbau.
Während seiner Zeit im Saga-han entwickelte und baute Tanaka die erste in Japan hergestellte Dampflokomotive. Obwohl er über keine Erfahrungen auf diesem Gebiet besass, war es ihm mit Hilfe eines holländischen Fachbuches möglich, sich die Thematik anzueignen. Zudem war er in Nagasaki im August 1853 Zeuge der Vorführung einer Dampfmaschine durch den russischen Vize-Admiral und Diplomaten Putyatin und dessen Ingenieur Alexander Mozhaysky.
Auch das erste komplett in Japan gefertigte, dampfbetriebene und voll einsatzfähige Kriegsschiff, die „Ryōfū Maru“ wurde von Tanaka konstruiert und zwischen 1863 und 1865 gebaut, natürlich für das Saga-han.

Nabeshima Naomasa war es durch seine guten Kontakte zu britischen Waffenhändlern und Kaufleuten in Nagasaki zudem gelungen, Armstrong-Kanonen zu importieren.
Diese Kanonen wurden erst ab 1854 durch den britischen Industriellen William Armstrong konstruiert und verfügten über ein gezogenes Rohr und ein Hinterlader-Verschlusssystem. Sowohl Reichweite wie auch Zielgenauigkeit überzeugte die britische Armee, welche diese Geschütze in unterschiedlichen Kalibern ab 1858 einführte. Später wurde auch die Royal Navy damit ausgestattet.
Damit verfügte das Saga-han über eine hochmoderne Gefechtswaffe, welche alles in den Schatten stellte, was das Bakufu zu bieten hatte. Nabeshima konnte aber nicht Unmengen davon importieren… und so wurde mit Hilfe von Tanaka der erste moderne Flammofen in Japan hergestellt um damit Kopien des Armstrong-Geschützes im Land selbst herzustellen!
Das Saga-han stand im Boshin-Krieg (Januar 1868 – Juni 1869) auf der Seite der sogenannten Satchō-Allianz und rüstete deren Truppen auch mit Armstrong-Geschützen aus, was ihnen natürlich grosse Vorteile verschaffte.
Nach rund zehn Jahren in Saga, zog es Tanaka 1864 (mittlerweile 65 Jahre alt) zurück in seine Heimat Kurume. Dort blieb er seiner früheren Tätigkeit treu und assistierte dem Kurume-han bei der Beschaffung eigener Kriegsschiffe und in der Waffenproduktion.
Das neue Japan – die Meiji-Zeit
Während seiner Zeit in der Heimat veränderte sich alles.
Der Niedergang der Tokugawa-Hegemonie hatte ja bereits begonnen und der Boshin-Krieg fegte die alte Ordnung schlussendlich weg.
Plötzlich ging alles sehr schnell: Die neue Regierung vereinigte das Land umgehend unter einer starken Herrschaft des Kaisers, die kaiserliche Residenz wurde bereits Ende 1868 von Kyōto nach Edo verlegt und die Stadt mit sofortiger Wirkung in Tōkyō umbenannt. Die militärischen und politischen Kräfte in den zahlreichen Han wurden beseitigt, indem man die alten Provinzen auflöste und in Präfekturen umformte und zusammenfasste. Und die Gouverneure dieser neuen Gebilde wurden nur noch vom Kaiser berufen.
Und im Zuge dessen wurde auch die Ständeordnung, welche über 250 Jahre Bestand hatte, abgeschafft und erlaubte Japan damit den Schritt in die moderne Staatengemeinschaft.
Der immer noch tatkräftige und dynamische Tanaka wurde im Alter von 74 Jahren 1873 durch das neue Industrieministerium unter Itō Hirobumi nach Tōkyō gebeten, um dort in der Ministerium-eigenen Fabrik Telegraphen herzustellen. Schnelle Kommunikation über weite Strecken war für die neue Regierung ein zentrales Anliegen, um die Nation rasch zu einer Einheit zu formen.
Zwei Jahre später zog Tanaka in den zentral gelegenen Kyōbashi-Stadtbezirk von Tōkyō. Kyōbashi-ku gibt es heute nicht mehr, es wurde 1947 mit dem alten Nihonbashi-ku zum heutigen Chuō-ku zusammengefügt.
Dort gründete er, im Alter von 76 Jahren seine erste Firma, Tanaka Seisakusho (Tanaka Engineering Works). Die Firma war der erste Hersteller für Telegraphen-Ausstattung in Japan.
Für die Leser, welche sich etwas mit Tōkyō auskennen: Die Firma befand sich in Ginza 8-chōme, wenige Schritte vom Bahnhof Shimbashi entfernt.

1881 verstarb Tanaka Hisashige und er wurde in Tōkyō auf dem Prominentenfriedhof Aoyama beigesetzt.
Die Firma ging an seinen Adoptivsohn Tanaka Daikichi über und wuchs rapide. Bald wurde sie von der Kaiserlich-Japanischen Marine mit der Entwicklung und Herstellung von Torpedos und Minen beauftragt und wurde zu einem der grössten Fabrikationsbetriebe des Landes. Die Firma kam in finanzielle Nöte, als die Marine zu wettbewerbsorientierten Submissionsverfahren überging und Tanaka Seisakusho nicht mehr alle Aufträge der Regierung erhielt.
1893 übernahm die Mitsui Bank als grösster Gläubiger das insolvente Unternehmen und führte eine Namensänderung durch: Shibaura Seisakusho (Shibaura Engineering Works).
1939 wurde der grosse Elektro-Konsumgüterhersteller Tōkyō Denki (Tōkyō Electric) mit Shibaura Seisakusho fusioniert und es entstand Tōkyō Shibaura Denki (Tōkyō Shibaura Electric).
Wie häufig in Japan, wurden auch hier Bestandteile (Kanji) aus den bestehenden Namen neu zusammengesetzt um so eine kurze, prägnante Firmenbezeichnung zu erhalten.
Und TOSHIBA ist hier unschwer zu erkennen: Tōkyō Shibaura Denki!
Allerdings blieb „Tōkyō Shibaura Denki“ für weitere vierzig Jahre als juristischer Name bestehen, bevor dann 1978 die offizielle Namensänderung zu TOSHIBA CORPORATION vollzogen wurde.
Tanaka’s Errungenschaften und unermüdliche Innovationskraft hatten einen grossen Anteil an der modernen Industrialisierung Japans und er war massgeblich daran beteiligt, die Grundlagen für Japans Stellung als technologische Supermacht zu legen.