Der interessierte Leser dieses Blogs wird wohl schon anderweitig erfahren haben, dass am 13. und 14. Oktober 2018 ein durchaus historischer Anlass im Honbu-Dōjō der Hokushin Ittō-Ryū Hyōhō stattfand: Der Ōtsuka-Gekikenkai.
Gekikenkai waren bis sicher in die Taishō-Zeit (1912 – 1926) hinein eine übliche Aktivität. In einem Gekikenkai treffen Vertreter unterschiedlicher Ryūha aufeinander und fechten Kämpfe aus.

Diese Praxis entstand im Verlauf des 19. Jahrhunderts, als sich die politische Situation in Japan massiv zuspitzte und der Bedarf an kampferprobten Fechtern wieder zunahm. Selbstverständlich wurde auch innerhalb der einzelnen Schulen Gekiken gelehrt wie auch an Militärakademie-ähnlichen Instituten wie dem Kōbusho des Bakufu oder an Han-Akademien wie z.B. der Matsushiro-han Bunbu Gakkō. Ebenfalls in den paramilitärischen Einheiten der beiden politischen Lager wie z.B. der Shinsengumi in Kyōto oder der Kiheitai in Chōshū wurde Gekiken praktiziert. Diese Milizen rekrutierten ihre Mitglieder aus den bekannten Schwertkampfschulen des Landes.
In folgenden Artikeln habe ich mich bereits mit der Thematik (im weitesten Sinne) befasst:
Bakumatsu Portraits: Sakakibara Kenkichi (1830 – 1894)
Cross-Training in Koryū Bujutsu-Ryūha
Der Ōtsuka-Gekikenkai war natürlich herausfordernd und teilweise hart. Und ja, auch mit Schmerzen muss man umgehen können. Gleichzeitig entwickelte sich aber selbst in dieser relativ kurzen Zeit ein starkes Gemeinschaftsgefühl! Es wurde viel gelacht, aber immer stand der gegenseitige Respekt an erster Stelle.
Zu keinem Zeitpunkt wurde jemand ausgesondert, schlechtgemacht oder sonstwie angegangen. Ganz im Gegenteil, die Kameraderie war herausragend.
Ich muss dies hier (leider) so deutlich herausstreichen, denn bei Diskussionen rund um Themen wie Gekiken, Taryū-jiai und Koryū-Shiai-geiko taucht oft der böswillige Vorwurf auf, dass es sich dabei um wilde, unstrukturierte Gewaltanwendung handelt. Manchmal wird auch vielsagend gefragt, ob das nicht sogar strafrechtliche(!) Konsequenzen haben könnte…
Solche Anwürfe stammen natürlich zumeist nicht von Vertretern moderner Kampfkünste, denn diese sind es meist gewohnt zu kämpfen.
Ich gehe zudem davon aus, dass solche Anschuldigungen wider besseres Wissen getätigt werden, um mögliche Interessierte aus Koryū-Kreisen abzuschrecken.
Eine ähnlich starke Abneigung gegenüber dem Kämpfen findet sich im japanischen Kontext nur noch im Aikidō. Dort gibt es jedoch gewisse historische Gründe für diese Haltung und ein grundsätzliches Selbstverständnis vieler hochrangiger Vertreter, dass Aikidō als „friedliche“ Kampfkunst gelehrt werden muss.
Warum nun aber das Kämpfen ausgerechnet in den Koryū so verpönt ist und auf diese grosse Ablehnung stösst, ist mir völlig schleierhaft. Schliesslich stammen diese Ryūha ja aus dem vormodernen Japan und müssten schon deswegen eine starke Affinität zum Kämpfen haben, schliesslich wurden diese Schulen nur dazu geschaffen.
Auch weise ich ausdrücklich darauf hin, dass auch in der Hokushin Ittō-Ryū Hyōhō das Gekiken-Training lediglich einen Teil des Trainings darstellt, und sowohl Kumitachi (Kata-geiko) wie auch Battōjutsu gleichberechtigte Inhalte sind.
Ōtsuka-Sōke ging in zwei Theorie-Teilen während dem Gekikenkai auch noch vertieft auf die historischen Quellen zu Gekiken-Praxis und Taryū-jiai ein und erläuterte auch einige der Lehren der Hokushin Ittō-Ryū Hyōhō in Bezug auf Kampf und Kampfführung.
Um noch wesentlich mehr Mitgliedern aus anderen Ryūha die packende Möglichkeit zu geben, an zukünftigen Ōtsuka-Gekikenkai in Europa und Japan teilzunehmen wurde beschlossen, diese Veranstaltungen bis auf Weiteres im privaten Rahmen abzuhalten. Das bedeutet, dass weder Teilnehmer noch Schulen genannt werden, um absehbare negative Konsequenzen für diese auszuschliessen.
Eigentlich ist es eine sehr traurige Verhaltensweise, wenn Schüler daran gehindert werden, in Austausch mit anderen Schulen zu treten. Diese Haltung ist aber eine relativ neue Erscheinung und stammt aus der Zeit nach dem Ende des 2. Weltkrieges. Ab diesem Zeitpunkt haben viele Koryū begonnen, sich von anderen Schulen zu distanzieren. Und mit der Zeit schliefen diese Kontakte mehr und mehr ein. Danach wurde es üblich, sich nur noch ein bis zwei Mal pro Jahr auf Enbu zu sehen, wo man einige Kata der eigenen Schule aufführt. Diese Form der Auseinandersetzung mit anderen Schulen ist für die allermeisten Koryū-Vertreter die praktisch einzig akzeptierte heutzutage.
Wem es allerdings nicht ausreicht, lediglich Kata-geiko zu betreiben und darum gerne einen anders gelagerten Austausch kennenlernen möchte: Der nächste Ōtsuka-Gekikenkai kommt bestimmt!